Jugendmedienschutz - eine europäische Diskussion

Vorwort
- "Jugendmedienschutz ist heute nur noch im europäischen Rahmen möglich!"

- "Der Ruf nach Harmonisierung bedeutet nichts anderes als eine Nivellierung nationaler Standards!"

Zwischen diesen beiden Standpunkten vollzieht sich zur Zeit die europäische Diskussion über den Jugendmedienschutz. Dabei ist es unstreitig, dass die mediale Entwicklung über die nationalen Grenzen hinausgeht und ausnahmslos alle Bildträger betrifft. Videofilme werden online europaweit angeboten und geordert, Digitale Versatile Discs (DVDs) mit mehreren Sprachversionen werden zentral aus den USA für den gesamten europäischen Markt geliefert, Fernsehen ist durch die digitale Technik zu einem europäischen Medium geworden, wobei Spartenkanäle darauf angewiesen sein werden, europaweit auszustrahlen, um rentabel ihre Inhalte anbieten zu können, Multimedia- und Onlinedienste werden den Empfang aktueller Spielfilme und großer Liveveranstaltungen über den heimischen Bildschirm ermöglichen und Netzwerkspiele werden bereits europaweit gespielt. Überall in Europa entstehen für das Leitmedium Kinofilm Multiplexkinos, jugendaffine Konsumtempel, die in ihrem Angebot von Barcelona bis Leipzig identisch sind. Sobald auch hier die Digitaltechnik Einzug hält, wird die Projektionsfläche aus einem riesigen Bildschirm bestehen, der digitalisierte, technisch brillante Bilder, versehen mit unterschiedlichen Tonkanälen, direkt von einem Satelliten erhält, so dass deutsche Kinos, ebenso wie spanische oder englische, zentral und zeitgleich beliefert werden können.

Die audiovisuellen Medien sind weltweit die größte Wachstumsindustrie. Einerseits ist dies die Chance zur Gestaltung einer Kommunikationsgesellschaft, die gegenseitiges Verstehen in einem Maße fördern könnte, wie es bisher noch nicht bekannt war, auf der anderen Seite ist zu konstatieren, dass der Antrieb dieser länderübergreifenden medialen Entwicklung nicht allein die demokratische Partizipation ist, sondern dass es um Absatzmärkte und Standortfaktoren geht. Das Schaffen neuer Arbeitsplätze und die Herabsetzung von Sprach- und Kulturbarrieren sind sicherlich nicht zu kritisieren. Es sind aber weitere Punkte zu berücksichtigen. Adressaten der neuen Medienwelt sind vor allem Kinder und Jugendliche, denen sich eine völlig neue Informationskultur eröffnet. Die Fülle der Inhalte reicht dabei von exzellenten pädagogischen Botschaften bis hin zu tief verstörenden Angeboten, die sich nicht um soziale und emotionale Befindlichkeiten junger Menschen scheren. Heutige Kinder und Jugendliche sind in der Lage alle Medien souverän zu nutzen. Allerdings darf diese Kompetenz nicht darüber hinweg täuschen, dass es sich hierbei vor allem um den technisch anwendungsbezogenen Bereich handelt. Wie Inhalte verarbeitet werden, wie junge Menschen psychisch hiermit umgehen und welche Folgen sich für ihre soziale Realität ergeben, sind weitergehende Aspekte einer Diskussion des Begriffes Medienkompetenz, der den eigenverantwortlichen Nutzer und Anwender als Zielvorstellung hat. Hierfür muss ein regulativer Rahmen vorhanden sein, auf den junge Menschen Anspruch haben. Diesem Anspruch muss sich der gesetzliche Jugendmedienschutz national und europaweit stellen.

Film und Video
Seit 1995 gibt es jährliche Konferenzen der europäischen Film- bzw. Videoprüfstellen. Dies führte zu einer Annäherung der Standpunkte bezüglich der möglichen Wirkung der Medieninhalte. Ein Motor dieser europäischen Arbeit war die Nederlandse Filmkeuring. Sie wurde 2001 durch einen Beschluss des Parlaments aufgelöst. An ihre Stelle trat eine Selbstklassifizierung der Film- und Videoanbieter NICAM (The Nederlands Institute for the Classification of Audio-visual Media). Diese Form der besonderen "Selbstkontrolle" ist in Europa einmalig. Es bleibt abzuwarten, ob sich jugendschutzorientierte Kriterien der Freigaben durchsetzen oder ob wirtschaftlicher Druck dazu führt, Freigaben auszusprechen, die mit Jugendschutz nur wenig zu tun haben. Eine Auswertung hierüber liegt noch nicht vor.

Gemeinsame Diskussionen über Ländergrenzen hinweg, der Austausch von Prüferinnen und Prüfern wie zwischen der FSK und der Österreichischen Jugendmedienkommission sind wichtig, Beweggründe für andere Freigaben zu verstehen und nachvollziehen zu können. Hierzu tragen auch Seminare der Prüfstellen von Deutschland, Belgien und Österreich mit Schulklassen bei. An Filmbeispielen diskutieren die Jugendlichen gemeinsam Kriterien der Beurteilung.

Gemeinsam mit der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen ist die FSK zudem in einer europäischen Arbeitsgruppe der Filmprüfstellen tätig, in der neben Deutschland und Österreich, auch Schweden, Großbritannien und Frankreich vertreten sind. Es geht darum, Vorstellungen einer künftigen europäischen Regelung im Jugendmedienschutz zu erarbeiten. Gerade die Darstellung von Gewalt in den Medien wird als europäisches Thema verstanden. Trotz dieses Grundkonsenses sehen allerdings die einzelnen länderspezifischen Regelungen unterschiedlich aus.

Altersfreigaben für Kinofilme, die in den meisten Ländern von einem Ministerium ausgesprochen werden, das hierfür einen besonderen Ausschuss unterhält, haben, außer in Spanien, verbindlichen Charakter.

Ca. 85 % aller auf den deutschen Markt kommenden Kino- und Videofilme werden der FSK im Auftrag der Obersten Landesjugendbehörden zur Prüfung auf Jugendfreigabe nach dem Gesetz zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit (JÖSchG) vorgelegt. Der Arbeitsausschuss der FSK besteht aus sieben Personen, wobei drei von der Film- bzw. Videowirtschaft benannt sind, die aber nicht in diesem Berufszweig beschäftigt sein dürfen, zwei Prüfern der öffentlichen Hand, einem Jugendschutzsachverständigen einer Obersten Landesjugendbehörde und dem Ständigen Vertreter der Obersten Landesjugendbehörden als Vorsitzenden. Durch die Siegelung der Freigabebescheinigung und die Unterschrift des Ständigen Vertreters werden diese Freigabeempfehlungen als eigene Entscheidungen der Obersten Landesjugendbehörden übernommen. Die Bundesländer haben das Recht in einem Appellationsverfahren Freigaben nochmals überprüfen zu lassen. Die FSK hat ca. 180 Prüferinnen und Prüfer, die in einem Turnus von drei Wochen pro Jahr in den Prüfausschüssen tätig sind. Täglich werden in zwei bis drei Ausschüssen die Prüfungen durchgeführt. Die Altersstufen sind

- "ohne Altersbeschränkung"
- "Freigegeben ab 6 Jahren"
- "Freigegeben ab 12 Jahren"
- "Freigegeben ab 16 Jahren"
- "Nicht freigegeben unter 18 Jahren".

In Frankreich gibt es eine gesetzliche Vorlagepflicht für alle Filme. Die Altersfreigaben werden von der Commission de Classification des Ceuvres Cinematographiques ausgesprochen, in der Prüfer aus Ministerien, Beschäftigte aus der Filmwirtschaft und Fachleute aus der Jugendpsychologie vertreten sind. Der zuständige Kultusminister hat das Recht erteilte Freigaben zu revidieren, was nicht selten auf die niedrigere Freigabe hin auch getan wird. Ca. 70 % aller Filme werden mit der Kennzeichnung "ohne Altersbeschränkung" versehen. Die weiteren Stufen sind 12 und 16 Jahre. Auch für den Videobereich gibt es eine gesetzliche Vorlagepflicht, die jedoch in der Praxis nicht erfolgt.

Neben Deutschland gibt es nur in Großbritannien eine eigenständige Institution, die nicht direkt ministeriell angebunden ist. Die British Board of Filmclassification (BBFC) ist die älteste Filmprüfinstitution Europas. Sie wurde auf Initiative der Filmindustrie in Kooperation mit den Behörden 1912 gegründet und hat die Aufgabe für die für den Jugendschutz zuständigen kommunalen Behörden Altersfreigaben verbindlich und überregional festzulegen. Die Kategorien sind "ohne Altersbeschränkung", PG (in Begleitung Erwachsener zulässig), ab 12 Jahren, ab 15 Jahren, frei ab 18 Jahren. Die Überprüfung von Videokassetten ist durch ein eigenständiges Gesetz geregelt. Auch hierfür ist die BBFC zuständig. Im Gegensatz zu Deutschland, wo die Freigaben für Kinofilme auch für den inhaltsgleichen Videofilm übernommen werden, werden die Videofilme in Großbritannien einer eigenen Prüfung unterzogen. Nicht selten werden hierbei Filme auf Videokassetten höher eingestuft als der gleiche Kinofilm. Die Begründung liegt darin, dass der Zugang zu Videofilmen für Kinder einfacher sei, als der Zutritt ins Kino und auch die Wirkung durch Szenenwiederholungen verstärkt werden könne. Die BBFC hat 40 hauptamtliche Prüfer.

In Österreich ist die "Jugendmedienkommission beim Bundesministerium für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten" zuständig für die Altersfreigabe der Filme. Neben den gesetzlichen Altersgrenzen werden Eignungshinweise pädagogischer Art vergeben. Da die Kulturhoheit in Österreich bei den Bundesländern liegt, werden die Freigaben der Jugendmedienkommission zwar zumeist von den Bundesländern übernommen, jedoch kommt es immer vor, dass einzelne Länder zu speziellen Filmen unterschiedliche Freigaben aussprechen, die nur für ihr Land Gültigkeit haben. Eine Vereinbarung zwischen den Bundesländern wie in Deutschland, wo die Prüfungsvoten der FSK grundsätzlich bundeseinheitlich übernommen werden, existiert in Österreich nicht. Die Alterskategorien dort sind "ohne Altersbeschränkung", ab 6, ab 10, ab 12, ab 14, ab 16 Jahren. Hierdurch ist eine differenzierte Kennzeichnung möglich, eine Kontrolle dieser Freigaben in der Praxis aber fast nicht durchführbar. Zwar hat auch Österreich ein Gesetz, nach dem Videokassetten zu kennzeichnen sind, wenn sie an Kinder und Jugendliche abgegeben werden sollen, allerdings gab es, wie in Frankreich, keine Stelle, die diese Freigaben erteilte. Um dem Gesetz Rechnung zu tragen, wurden in Österreich die Videofreigaben der FSK übernommen. Seit 2002 wurde der Jugendmedienkommission diese Aufgabe übertragen. In Südtirol werden die deutschen Freigaben für Kinofilme übernommen.

In Schweden muss jeder Film einer staatlichen Filmbehörde vorgelegt werden. Zwei fest angestellte Prüfer entscheiden über die Freigaben. Die Altersstufen sind: "ohne Altersbeschränkung", ab 7, ab 11 und ab 15 Jahren. Grundsätzlich sind alle Filme über 15 Jahren frei. Auf Antrag von Firmen werden diese Filmfreigaben auch für inhaltsgleiche Videofilme übernommen.

Nur in Großbritannien, Deutschland und Norwegen liegt die höchste Altersgrenze bei 18 Jahren. Die Auflage von Schnitten ist in Großbritannien und Deutschland möglich. Während in Deutschland aber nur in wenigen Fällen bei Jugendfreigaben Schnittauflagen erfolgen, werden in Großbritannien zahlreiche Filme auch für Erwachsene mit Schnitten versehen. In Deutschland gibt es keine Vorlagepflicht für die Prüfung von Filmen, wenn diese ausschließlich für ein erwachsenes Publikum vorgesehen sind.

Computerspiele
Die Prüfung nicht filmisch bespielter digitaler Bildträger, vor allem Computerspiele auf CD-ROM, ist bisher in keinem europäischen Land gesetzlich geregelt. In Deutschland werden Altersempfehlungen für Computerspiele durch die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) vorgenommen. Dies sind Empfehlungen, die eine Orientierung für Eltern bieten können, jedoch für den Handel nicht verbindlich sind.

Internet
Für den Onlinebereich haben der Bund mit dem Teledienstegesetz und die Länder mit dem Mediendienstestaatsvertrag fast inhaltsgleiche Regularien geschaffen, wobei der Mediendienstestaatsvertrag eindeutige Jugendschutzbestimmungen enthält. Zur Durchführung dieser Jugendschutzbestimmungen haben die Länder - analog der Stelle des Ständigen Vertreters der Obersten Landesjugendbehörden bei der FSK - eine länderübergreifende Stelle eingerichtet, Jugendschutz.net. Ähnliche Regelungen gibt es in anderen europäischen Ländern nicht. Neben Jugendschutz.net ist die Selbstkontrolle der Onlineanbieter, die Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia (FSM) zu nennen, die Beschwerden von Nutzern entgegennimmt und intern bei ihren Mitgliedern auf eine Veränderung der Angebote hinwirkt. Eine lückenlose Kontrolle wird es in diesem Bereich - wie aber auch bei den anderen Medienangeboten - nicht geben. Allerdings muss der Grundsatz gelten: "Was Offline verboten ist, darf Online nicht erlaubt sein." In Deutschland wird zur Zeit an einer Intensivierung und Koordinierung der Jugendschutzbestimmungen im Online- und Fernsehbereich gearbeitet. Dies sollte auch dazu führen, dass in europaweiten Richtlinien Jugendschutzbestimmungen für Anbieter im Netz verbindlich werden. Die Generaldirektion X der Europäischen Kommission, zuständig für Kultur und Medien, arbeitet hieran.

Fernsehen
Im Fernsehbereich ist die EU-Fernsehrichtlinie, die in Artikel 22 Jugendschutzbestimmungen formuliert, seit dem 1. April 2000 für alle Mitgliedsländer verbindlich. Danach ist die Darstellung von Pornographie und grundlosen Gewalttätigkeiten verboten. Weiterhin müssen die Sender sicherstellen, dass durch die Wahl der Sendezeit oder durch andere Maßnahmen gewährleistet ist, dass Kinder und Jugendliche Sendungen, die die körperliche, geistige und sittliche Entwicklung von Kindern und Jugendlichen beeinträchtigen können, üblicherweise nicht wahrnehmen. Diese jugendschutzrelevanten Sendungen müssen vor ihrer Ausstrahlung durch akustische Zeichen angekündigt oder durch optische Mittel während der gesamten Sendung kenntlich gemacht werden. Nicht von der Hand zu weisen ist der Einwand, dass gerade hierdurch Kinder auf problematische Sendungen aufmerksam gemacht werden. In Ländern ohne Sendezeitbegrenzungen ist dieser Punkt wirkungsvoll. Die Landesmedienanstalten sprechen in ihrem Jugendschutzbericht vom Februar 2002 aber auch für Deutschland von positiven Erfahrungen mit dieser Kennzeichnungspflicht. In Deutschland wird zu Beginn der Sendung eine kurze Erläuterung geschaltet, die besagt, dass die folgende Sendung für Zuschauer unter 16/18 Jahren nicht geeignet ist. Problematisch ist der Begriff "grundlose Gewalttätigkeiten". Sind dies allein Bilder physischer Gewalt, wie ist psychische Gewalt einzuordnen, strukturelle Gewalt, staatlich legitimierte Gewalt, Selbstjustiz? Nach einer Studie der Europäischen Kommission könnte zur Einschätzung dieses Begriffes eine Beschreibung problematischer Inhalte erfolgen. Hieraus entstünde ein Kriterienraster, das an den kulturellen Traditionen der einzelnen Mitgliedsstaaten die entsprechende Jugendschutzbewertung erfahren könnte. Der kontextuale Zusammenhang ginge damit allerdings verloren.

Trotz der EU-Fernsehrichtlinie bleiben große Unterschiede in den nationalen Regelungen.

In Deutschland schreibt der Rundfunkstaatsvertrag u.a. detaillierte Sendezeitbeschränkungen vor, Aufsichtsorgane für die privaten Veranstalter sind die Landesmedienanstalten. Die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) kann Sendezeitempfehlungen aussprechen, wobei die Ausstrahlung indizierter Filme grundsätzlich untersagt ist. FSK 16 gekennzeichnete Filme dürfen erst nach 22 Uhr, FSK 18 gekennzeichnete Filme erst nach 23 Uhr ausgestrahlt werden. Beim digitalen Pay-TV sind jugendschutzrelevante Sendungen vorverschlüsselt und müssen einzeln, für die Dauer der Sendung, durch den Nutzer entschlüsselt werden. In Frankreich dürfen nur die Spielfilme, die eine Freigabe "ohne Altersbeschränkung" haben, ohne zeitliche Begrenzung ausgestrahlt werden. Filme ab 12 oder ab 16 dürfen erst nach 22.30 Uhr gezeigt werden. Da in Frankreich allerdings über zwei Drittel aller Filme "ohne Altersbeschränkung" freigegeben sind, trifft dies nur auf wenige Spielfilme zu. In Großbritannien gibt es für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk keine gesonderte Regelung, eine Aufsichtsbehörde kontrolliert private Anbieter, wonach Filme für Erwachsene ab 21 Uhr gezeigt werden können. In Schweden fehlt eine nationale Regelung für den Fernsehbereich völlig, während in Österreich der ORF für Jugendschutzbestimmungen selbst zuständig ist, aber auch hier soll die Jugendmedienkommission eingebunden werden.

Kriterien
Bei der Diskussion um gemeinsame europäische Richtlinien für den Jugendmedienschutz ist es wichtig die inhaltliche Diskussion über die mögliche Medienwirkung verstärkt zu gewichten. Trotz europäischer Zusammenarbeit zeigen sich deutliche Unterschiede. Während ein Film wie RAMBO 2 mit Silvester Stallone in Deutschland die Kennzeichnung "Nicht freigegeben unter 18 Jahren" erhielt, ebenso in Großbritannien, wurde er in Frankreich ab 12 Jahren freigegeben. In Frankreich wurde dies damit begründet, dass 12- Jährige in der Lage seien aufgrund ihrer Medien- und Lebenserfahrung diese amerikanische Produktion eindeutig als fiktional einordnen zu können. Sie habe keinen Bezug zur Lebensrealität französischer Kinder.

ROME UND JULIA von Baz Luhrmann, der den Stoff der beiden liebenden jungen Menschen in eine imaginäre Großstadt der Neuzeit verlegt und die beiden Familien als verfeindete Mafiaclans darstellt, ansonsten aber die Original Shakespeare Sprache verwendet, wurde in Deutschland, Österreich und Großbritannien ab 12 Jahren freigegeben, da man keine beeinträchtigenden Wirkungen auf diese Altersgruppe gesehen hat, ja sogar von einer pädagogisch gewollten Hinwendung zum klassischen Drama ausging. In den Niederlanden wurde er noch von der Nederlandse Filmkeuring ab 16 Jahren eingestuft, da er gewalthaltige, übererregende Szenen beinhalte und 12-jährige die Shakespeare-Vorlage ohnehin nicht kennen würden.

Der Film DER SOLDAT JAMES RYAN von Steven Spielberg erhielt in Deutschland die Freigabe ab 16 Jahren, da er sich in seiner Grundaussage eindeutig gegen den Krieg ausspreche, allerdings Sequenzen intensiver Gewaltdarstellungen enthalte, die für unter 16-Jährige nicht verkraftbar seien. In Belgien wurde der Film "ohne Altersbeschränkung" freigegeben. Eine Verweigerung der allgemeinen Jugendfreigabe ist dort nur möglich, wenn die Grundtendenz des Filmes sittlichen und ethischen Werten widerspricht, was bei Spielbergs Film nicht der Fall sei.

In Großbritannien wird sehr darauf geachtet, ob Filme Kinder und Jugendliche zur Gewaltanwendung anleiten könnten. Gerade Kriminalfilme werden streng eingestuft, während Filme mit fiktionalen Themen, wie z.B. Spielbergs JURASSIC PARK, ohne Altersbeschränkung freigegeben werden, da sie keinen Bezug zur Wirklichkeit haben. In Deutschland erhielt der Film die Freigabe ab 12 Jahren.

In den meisten europäischen Ländern werden Actionfilme, die Gewaltdarstellungen mit Humor würzen und teilweise ins Parodistische kippen, milder in der Alterskennzeichnung behandelt als Actionfilme, die sich selbst sehr ernst nehmen. In Norwegen wird dies gänzlich anders gesehen. Gewalt mit humoriger "Unterhaltung" inszeniert wird nicht als emotionale Entlastung für den Rezipienten gesehen, sondern als Folie für Schadenfreude, die dazu beiträgt Gewalt zu verharmlosen. Demgemäss erhielt RAMBO 2 in Norwegen die Altersfreigabe ab 15 Jahren, die Polizeikomödie POLICE ACADEMY ab 18 Jahren. Auch der Film mit Leonardo Di Caprio THE BEACH wurde unterschiedlich gesehen. In Österreich mit einer Freigabe ab 12 Jahren versehen erhielt er in Deutschland die Kennzeichnung "Freigegeben ab 16 Jahren". Gewalthaltige Szenen und die Verharmlosung des Drogenkonsums waren u.a. Gründe hierfür.

Auch bei sexuellen Darstellungen sind die Einschätzungen unterschiedlich. In Frankreich und Schweden wird freizügiger mit erotischen Filmen in der Jugendschutzbewertung umgegangen als beispielsweise in Großbritannien. In Deutschland wird, neben einzelnen herausgehobenen Szenen, insbesondere der inhaltliche Zusammenhang beurteilt. Filme, die desorientierende Rollenbilder vermitteln, werden als beeinträchtigend angesehen, während Nacktheit allein kein Grund mehr ist einen Film nicht für 16-Jährige freizugeben. Stanley Kubricks letzter Film EYES WIDE SHUT  erhielt die Freigabe ab 16 in Deutschland und in Österreich. In Großbritannien wurde er ab 18 eingestuft und in Frankreich wurde er ohne Altersbeschränkung freigegeben.

Koordination statt Vereinheitlichung
Die Medien werden zunehmend europäisch vermarktet. Es ist deshalb erforderlich, europäische Richtlinien für den Jugendschutz zu erarbeiten. Gleiche europaweite Beurteilungen sind allerdings nicht zu erwarten und auch nicht wünschenswert. Unterschiedliche kulturelle und religiöse Traditionen sind nicht wegzuwischen, sondern sind einzubinden in einen europäischen Diskurs des Vergleiches. Ein solcher Vergleich, der zur Annäherung führen kann, kann nicht von Brüssel aus verordnet werden. Frithjof Berger, Referent beim Beauftragten der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und der Medien, sagt hierzu : "Denkbar ist, dass eine Harmonisierung durch einen engen Erfahrungsaustausch und eine europaweite Diskussion von Einzelfällen im Rahmen einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit der Jugendschützer quasi, 'von unten' wächst." (in: TV-Diskurs Nr. 11, Seite 45). Festzustellen ist, dass in den europäischen Gremien nicht die Meinung dominiert, der Markt wird sich selbst regulieren. Das wird er nicht tun. Wirtschaftlicher Zwang ist oft stärker als Vernunft und Einsicht und Deregulierung, die versucht Jugendschutzaufgaben allein Eltern zu übertragen oder davon auszugehen, dass Kinder und Jugendliche so medienkompetent wären, dass sie sich alleine schützen können, ist naiv und falsch.

Die von Frithjof Berger geforderte Zusammenarbeit der Jugendschutzinstitutionen wird zwischen Deutschland und Österreich intensiv betrieben. Trotz unterschiedlicher Regelungen hat sich eine Zusammenarbeit entwickelt, die einer "Harmonisierung ohne Niveauverlust" entspricht. Gemeinsame Tagungen, Prüferaustausch und regelmäßige Informationen führen dazu, dass kaum noch krasse Unterschiede in der Bewertung von Filmen vorliegen. Auch die British Board of Filmclassification zeigt starkes Interesse an dieser Zusammenarbeit. Wie bei allen europäischen Fragen lassen sich auch die eingangs zitierten beiden Statements bezüglich der Entwicklung des Jugendmedienschutzes in Europa nicht einfach mit Ja oder Nein beantworten. Nur das wird zukünftig in einer europäischen Regelung Eingang finden, das sich national bewährt hat und als sinnvoll angesehen wird. Hierbei werden gemeinsame Einstufungen von Schweden bis Italien nicht realisiert werden. Wesentlich ist aber, dass Regelungen geschaffen werden, die der Medienindustrie klare Grenzen aufzeigen und den einzelnen Mitgliedsstaaten in ihren kulturellen, gesellschaftlichen und religiösen Traditionen gerecht werden. Die in den letzten Jahren intensiv geführte und notwendige öffentliche Diskussion in Europa um Medieninhalte dreht sich eben nicht mehr nur um ökonomische Faktoren, sondern Medien und deren Inhalte werden als Kulturfaktoren und Sozialisationsinstanzen wahrgenommen, die Denkweisen, Einstellungen und Haltungen gerade junger Menschen prägen. Zur Unterstützung der politisch-verantwortlichen Gremien in Brüssel wäre ein europäischer Informationspool zur Koordination der unterschiedlichen Regelungen und deren länderspezifischen Auslegungen, eine Clearingstelle, notwendig. In einer solcher Stelle könnten für das Leitmedium Film, was dann auch Auswirkungen auf die Verbreitung auf anderen Bildträgern hätte, folgende Punkte diskutiert werden:

- einheitliche europäische Altersstufen, wobei nicht gemeint ist, dass in jedem Land der Europäischen Union für einen Film die gleiche Freigabe gilt
- empfehlende Hinweise, die neben gesetzlich definierten Alterskennzeichnungen Eltern zusätzliche Orientierungshilfe geben
- ein regelmäßiger Austausch zwischen Medienanbietern, staatlichen Kontrollinstitutionen, freiwilligen Selbstkontrolleinrichtungen, Politikern, Wissenschaftlern, Pädagogen und Eltern.

Der gesetzliche Jugendmedienschutz mit seiner normativen Rahmengebung ist ein zentrales Moment. Wichtig ist aber auch medienpädagogischen Initiativen breiten Raum zu geben. Medienpädagogische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen muss zur demokratischen Teilhabe befähigen. Jugendschutz ist wichtiger Teil unserer gemeinsamen Kultur. Ohne die Chancen einer europäischen Mediengesellschaft zu versäumen, müssen wir dies im Blick behalten!

Von Folker Hönge aus "Merz" 04/2000 (überarbeitet in 2002)
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