EIRIN – Die FSK von Japan

In einer kleinen Seitenstraße im Zentrum Tokios im zweiten Stock eines unscheinbaren Hauses, residiert die japanische Filmprüfstelle EIRIN (Administration Commission of Motion Picture Code of Ethics). Unsere Delegation wurde von einem Herrn begrüßt, der uns in einen Raum begleitete, in denen in zwei langen Reihen Holztische und Holzstühle aufgereiht waren, an denen wir Platz nahmen. Kein Fenster führte nach außen, Blickfang war eine Leinwand am Kopfende des Raumes. Wir befanden uns im Zentrum der Prüfstelle – im Vorführraum. Der erste Eindruck vermittelte ein Bild, das uns an die fünfziger Jahre erinnerte. Nach dem obligatorischen Begrüßungstee, erschien ein älterer Herr, der sich als Professor Magoroku Ide vorstellte, Präsident von EIRIN, Professor für Philosophie an der International University of Tokio und Director of the Japan Writers' Association. Nachdem Professor Ide anfing, die Institution vorzustellen, war das wenig Anheimelnde des Filmvorführraumes vergessen und wir hörten fasziniert den Ausführungen zu.

Entstehung
Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts war Japan das erste Land in Asien, das Kinos hatte. Während in anderen asiatischen Ländern lediglich portable Filmvorführungen stattfanden, gehörte ein Kinobesuch in Tokio schon zu den besonderen gesellschaftlichen Ereignissen. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die japanische Filmindustrie sehr durch deutsche Filme und Regisseure beeinflusst. Namen wie Friedrich Wilhelm Murnau und Fritz Lang hatten unter den Filminteressierten und Intellektuellen einen besondern Klang. Die intensive Gestaltung der Filme und die Thematisierung auch problematischer gesellschaftspolitischer Inhalte führten zu einem Filmzensurgesetz, das insbesondere politisch unliebsame Filme, die den gesellschaftlichen Konsens anzweifelten, betraf. Verstärkt wurde diese Zensur noch in der Zeit des Zweiten Weltkrieges, in der Militärbehörden in rigoroser Weise Filme zensierten. Mit der Kapitulation Japans fiel 1945 dieses Filmzensurgesetz weg. Bis 1951 trat an seine Stelle eine alliierte Filmzensur, die von amerikanischen Filmoffizieren geleitet wurde. 

Das General Headquarter (GHQ) der US-Streitkräfte in Tokio war hierfür verantwortlich. Anfang der 50er-Jahre beherrschten insbesondere Samurai-Filme die japanische Filmproduktion. Ähnlich populär wie die Western in den USA, erreichten diese Filme eine hohe Zuschauerzahl und verhalfen der japanischen Film- und Kinowirtschaft zu wirtschaftlichem Erfolg. Eine der einflussreichsten Regisseure war Akira Kurosawa. Noch während der Zeit der amerikanischen Filmzensur wurde 1949 EIRIN gegründet. Die Beurteilung japanischer Filme sollte von einer japanischen Institution vorgenommen werden. Gründungsväter waren amerikanische Filmoffiziere des GHQ. 1952 ging die Besatzung der Amerikaner zu Ende und EIRIN wurde die alleinige Filmprüfstelle. Losgelöst von der amerikanischen Obhut geriet EIRIN sehr bald durch die einheimische Presse und durch offizielle Stellen der japanischen Regierung in Kritik. Die Kritik entzündete sich an Entscheidungen zu einzelnen Filmen bei denen EIRIN für die liberale Presse Zensur ausübte, auf der anderen Seite den Ansprüchen, einen gesellschaftlichen Konsens zu bewahren, nicht erfüllte. Hinzu kam, dass EIRIN als zu wirtschaftsnah kritisiert wurde, da die Filmindustrie EIRIN vollständig finanzierte.

Ein Film entzündete besonders die Gemüter: JAHR DER ZUNGE, der sich mit der gesellschaftliche Situation Japans in dieser Zeit auseinandersetzte und zum Teil realistische Darstellungen von Gewalt inszenierte. Die Diskussion um diesen Film führte 1956 zu einer Neuorganisation von EIRIN. EIRIN finanzierte sich von nun an unabhängig von der Filmwirtschaft allein durch Prüfgebühren (1 Filmmeter kostet 0,64 €, bei der FSK 0,48 €) und warb "gebildete Mensche" als Prüfer an. Ein Auswahlkriterium, das in vielen japanischen Institutionen herangezogen wird. Dies waren Professoren, Juristen und Lehrer, die nicht in der Filmwirtschaft beruflich tätig sein durften. Diese 1956 gegründete Selbstkontrolle, die Anfang 1957 ihre Arbeit aufnahm. war die erste unabhängige Selbstkontrolle in Japan. 1962 ratifizierte das Ministerium für Gesundheit und Wohlfahrt den "Code of the National Association of Theatre Owners of Japan", der besagte, dass alle Filmtheater keinen Film ohne eine EIRIN Kennzeichnung vorführen sollen. Diese Selbstverpflichtung bildet noch heute die Grundlage für die Arbeit von EIRIN. In den 50er und 60er-Jahren waren insbesondere die altersgemäßen Einstufungen sexueller Darstellungen Hauptaufgabengebiet. EIRIN sah sich dabei heftigen juristischen Auseinandersetzungen ausgesetzt, die aber letztlich die Position der Selbstkontrolle in der Gesellschaft stärkten. Seit den 70er und 80er-Jahren änderte sich der Schwerpunkt der Arbeit hin zu der Beurteilung von Gewaltdarstellungen in Filmen. Seit 1996 existiert die vierstufige Alterskohortierung: "ohne Altersbeschränkung", "PG 12" (mit Begleitung von Eltern ab 12 Jahren), "R 15" und "R 18".

Für kundige Leser ist offensichtlich: die Grundstruktur der Entstehungsgeschichte von EIRIN ist die gleiche wie bei der FSK (Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft). Die FSK war die erste Selbstkontrolle im Nachkriegsdeutschland und wurde von amerikanischen Filmoffizieren mitbegründet. Auch der Schwerpunkt ihrer inhaltlichen Arbeit verlagerte sich von politisch motivierten Beurteilungen von Filmen in den Nachkriegsjahren über die Auseinandersetzung mit sexuellen und erotischen Darstellungen in Filmen der 60er und 70er-Jahre hin zu dem heutigen Schwerpunkt der Arbeit, die mögliche Wirkung gewalthaltiger Filminhalte auf Kinder und Jugendliche hin zu beurteilen und altersgemäß einzuordnen. Ein faszinierendes Erlebnis, 12.000 km von der FSK in Wiesbaden entfernt eine Institution vorzufinden, die die gleichen Wurzeln hat!

Struktur und Arbeit
Die Selbstverpflichtung der japanischen Filmtheater führt dazu, dass 95 % aller Kinos nur EIRIN geprüfte Filme spielen. Eine staatliche Kontrolle hinsichtlich der Einhaltung der Filmfreigaben ebenso wie eine gesetzliche Anbindung der Freigaben existieren nicht. Geplant ist aber, in jedem Kino eine Kontrollperson einzustellen, die tatsächlich das Alter der kindlichen und jugendlichen Zuschauer überprüft. Aber auch ohne gesetzliche Anbindung ist die Arbeit von EIRIN nicht wirkungslos. Die Alterskennzeichnungen sind Bestandteil des gesellschaftlichen Konsens in Japan, dessen Regeln durchaus verbindlichen Charakter haben. So erhöhen die Freigaben der Filme deren gesellschaftliche Akzeptanz. An den Zuschauerzahlen lässt sich erkennen, dass familienfreundliche Freigaben zu höheren Besucherzahlen führen.

EIRIN hat acht hauptamtliche Prüfer, wovon immer zwei Prüfer einen Film beurteilen. Pro Tag wird in vier Parallelausschüssen geprüft. Im Jahre 2006 wurden 639 Kinospielfilme geprüft. Von japanischen Filmen erhielten 182 "Ohne Altersbeschränkung", 21 "PG 12", 21 "R 15", 88 "R 18". Von ausländischen Filmen erhielten 239 "ohne Altersbeschränkung", 28 "PG 12", 47 "R 15" und 13 "R 18". Neben Kinospielfilmen werden Kurzfilme, Dokumentarfilme, Trailer und Werbefilme geprüft. Ein Auswahlausschuss, der sich aus Verleihern und Kinobetreibern zusammensetzt, hat die acht hauptamtlichen Prüfer ausgesucht, die nicht nebenberuflich in der Filmwirtschaft arbeiten dürfen. Selbstverständlich gibt es auch Berufungsinstanzen bei EIRIN. Die letzte Instanz ist das Appeal Committee, das auch außenstehende Sachverständige hinzuziehen kann. Basis der Prüfungen sind die filmethischen Grundsätze, die sich insbesondere mit dem Thema Gewalt auseinandersetzen. Zurzeit werden Kriterien erstellt, die jeder Alterskennzeichnung zugeordnet werden und größere Transparenz bei der Beurteilung von Filmen schaffen sollen. Die einzelnen Entscheidungen orientieren sich am gesellschaftlichen Konsens, speziell werden die Sprache, Darstellung von Sexualität und Nacktheit, Gewalt und Grausamkeit, Horror und Bedrohungen, Drogenkonsum und kriminelles Verhalten beurteilt. Diese Punkte dürfen allerdings den Kontext des Filmes nicht vernachlässigen. Pornografische Darstellungen in öffentlichen Vorführungen sind nicht erlaubt.

Die Filmprüfstelle EIRIN und die japanische Video- und DVD-Prüfstelle VIDERIN arbeiten dahingehend zusammen, dass besonders problematische Video- und DVD-Premieren in einem gemeinsamen Ausschuss geprüft werden. Im Jahr 2006 sind 40 Filme geprüft worden. VIDERIN selbst hat im Jahre 2006 1.389 VHS-Filme und 4.501 DVD-Filme beurteilt.

Die Prüfung ausländischer Filme erfolgt über ein zweistufiges System. Eine erste Prüfung führen die Zollbehörden durch. Hierbei werden für den Inselstaat Japan stichprobenartige Kontrollen durchgeführt, ob der Inhalt der Filme evtl. gegen japanische Gesetze verstößt. Bis vor zehn Jahren durfte beispielsweise bei erotischen Inhalten keine Schambehaarung zu sehen sein, heute darf kein offenes weibliches Geschlechtsteil gezeigt werden. Sollte dies der Fall sein, müssen Bilder unkenntlich gemacht werden. Nach dieser Stichprobenprüfung erfolgt die altersmäßige Zuordnung der Filme durch EIRIN.

Besonders interessant war natürlich der Austausch über Kinofilme und deren Freigaben in Japan und in Deutschland. Heftig diskutiert wurden in Japan Horrorfilme. HOSTEL 1 z.B. hat in Japan die Freigabe "R 18" ebenso wie SAW 2 und SAW 3. Die gleichen Alterskennzeichnungen haben diese Filme in Deutschland. Der Film SHOOTING DOGS, der den Krieg zwischen Hutus und Tutsis in Ruanda 1994 zeigt, wurde in Japan ab 15 freigegeben und in Deutschland ab 12. EIRIN gewichtete besonders die Gewaltdarstellungen, während der Prüfausschuss der FSK diese im filmerzählerischen Zusammenhang beurteilte. Beide Freigaben lassen sich vertreten.

Ein übergeordnetes Regelwerk für den Jugendmedienschutz existiert in Japan nicht. Jede Präfektur hat ihre eigenen Jugendschutzbestimmungen. Überlegungen sind zurzeit im Gange, diese Bestimmungen in einem überregionalen Jugendschutzgesetz zu koordinieren. Die Entscheidungen von EIRIN erhalten allerdings alle Präfekturen Japans. Medienproduktionen, die von besonderen Gewaltdarstellungen geprägt sind, können von dem jeweiligen Gouverneur einer Präfektur auf Vorschlag eines Ausschusses indiziert werden. Dieser Ausschuss tagt einmal pro Monat. Die Indizierung eines Produktes hat weitgehend rechtliche Vertriebs- und Werbebeschränkungen - ähnlich wie bei uns - zur Folge. EIRIN ist berechtigt, Indizierungsvorschläge für nicht gekennzeichnete Filme zu machen, die in den meisten Fällen umgesetzt werden.

Schlussbemerkung
Der Besuch bei EIRIN war beeindruckend. Das Ambiente der 50er-Jahre und die fehlende gesetzliche Anbindung können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Entscheidungen von EIRIN Einfluss auf die japanische Gesellschaft haben. Sie strukturieren das Kinofilmangebot gerade für kindliche und jugendliche Zielgruppen, sie dienen als Vorlage für Indizierungen und führen zu öffentlichen Diskussionen, die auch in der Presse ausgetragen werden und zwischen Zensurvorwürfen und zu liberalen Entscheidungen wechseln. Auch diese Thematik ist nicht unbekannt. Ähnlichkeiten mit der FSK bleiben unübersehbar.

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